Die unsichtbare Zahl: Was Wissenschafts-kommunikation wirklich kostet
»Wie viel Budget hätten wir für Wissenschaftskommunikation einplanen sollen?« Diese Frage hören wir regelmäßig in Beratungsgesprächen – allerdings meist zu spät. Forschende und Projektleitende kontaktieren uns in der Regel erst, nachdem ihr Förderantrag bewilligt wurde. Das Budget für Wissenschaftskommunikation steht dann bereits fest. Häufig stellen wir fest: Es ist zu knapp kalkuliert für professionelle Umsetzung.
Warum passiert das? Es fehlen öffentlich zugängliche Daten darüber, wie viel tatsächlich in Wissenschaftskommunikation investiert wird. Nach über 20 Jahren Arbeit in der Wissenschaftskommunikation können wir sagen: Die Budgetplanung erfolgt mangels belastbarer Referenzwerte häufig ohne fundierte Grundlage – und das hat Konsequenzen, die über administrative Unsicherheit weit hinausgehen.
Das wichtigste auf einen Blick
- Die letzte verfügbare DFG-Zahl stammt aus 2016: Unter 1% des Fördervolumens für Wissenschaftskommunikation
- Aktualisierte Daten fehlen: Trotz 3,9 Mrd. EUR DFG-Fördervolumen (2024) keine aktuellen öffentlichen Zahlen
- Das Problem: Ohne Transparenz können Forschende keine realistischen Budgets planen
- Die Folge: Systematische Wirkungsmessung von Wissenschaftskommunikation bleibt schwierig
- Unsere Empfehlung aus der Projekterfahrung: 5–10 % des Projektbudgets für professionelle Wissenschaftskommunikation
Eine Zahl aus dem Jahr 2016
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ermöglicht seit 2011 die Förderung von Wissenschaftskommunikation in allen Programmen. Die einzige öffentlich verfügbare Zahl zur tatsächlichen Nutzung stammt aus einem Interview von 2018, das auf Zahlen aus 2016 verweist: Unter 1 % des gesamten DFG-Fördervolumens entfielen damals auf Wissenschaftskommunikation (ohne Exzellenzinitiative).
Bei einem DFG-Gesamtvolumen von etwa 3 Milliarden Euro im Jahr 2016 entsprach dies unter 30 Millionen Euro jährlich. Heute liegt das DFG-Fördervolumen bei über 3,9 Mrd. EUR für rund 31.000 Projekte (Stand 2024). Aktualisierte Zahlen zum Kommunikationsanteil wären hier hilfreich – sie liegen bisher allerdings nicht öffentlich vor.
2016 kündigte die DFG eine interne Arbeitsgruppe zur systematischen Untersuchung an. Die Ergebnisse wären für die Fachcommunity von großem Interesse. Diese wurden zumindest einem größeren Publikum bis heute nicht veröffentlicht. Und das Problem betrifft nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa.
Was wirklich fehlt
Stellt euch vor, ihr könntet nachschauen: Was geben vergleichbare Projekte für Wissenschaftskommunikation aus? Welche Budgets haben sich in der Praxis bewährt? Gibt es Unterschiede zwischen Disziplinen?
Solche Daten werden sicherlich für interne Steuerungszwecke erfasst – bei DFG, Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und Europäischer Kommission. Eine öffentliche Bereitstellung würde Antragstellenden wertvolle Orientierung bieten. Die DFG-Datenbank GEPRIS (GEförderte PRojekte InformationsSystem) zeigt Gesamt- und Projektdaten, eine separate Ausweisung von Kommunikationsbudgets fehlt jedoch. Auch bei großen Verbundprojekten wie den Exzellenzclustern der Exzellenzstrategie (57 Cluster ab 2026, rund 539 Mio. EUR jährlich) wären Kommunikationsbudgets als eigene Kategorie aufschlussreich.
Das BMBF (heute BMFTR) hat seine Förderpraxis angepasst: Wissenschaftskommunikation ist integraler Bestandteil der Projektförderung. In den meisten Bekanntmachungen wird eine kurze Darstellung oder ein Konzept verlangt. Super! Feste Prozentvorgaben macht das BMBF/BMFTR aber bewusst nicht – die Mittel müssen angemessen und verhältnismäßig aus dem Gesamtprojektbudget kommen. Wie hoch die tatsächlichen Budgetanteile sind und welche Projekte als Best Practice gelten, lässt sich mangels Daten schwer beantworten.
Für Horizon Europe fehlen ebenfalls systematische Daten zu bewilligten Projekten: Communication, Dissemination and Exploitation (C/D&E) ist verpflichtend, bewertet werden Qualität der Maßnahmen (Impact) und Angemessenheit der Ressourcen (Implementation). Offizielle Prozentvorgaben existieren nicht. Welche C/D&E-Anteile in der Praxis üblich sind und welche Trends sich über die Jahre zeigen, bleibt unklar.
Warum Transparenz mehr ist als Verwaltungsfrage
Mehr Transparenz würde helfen. Antragstellende hätten Orientierung. Gutachtende hätten objektive Maßstäbe. Aber es geht um mehr.
Erst mit transparenten Budgets ließe sich systematisch messen, ob Wissenschaftskommunikation wirkt. Ob sie tatsächlich dazu beiträgt, dass Menschen wissenschaftliche Prozesse verstehen. Ob sie Vertrauen in wissenschaftliche Erkenntnisse stärkt. Ob sie der steigenden Wissenschaftsskepsis evidenzbasiert begegnet.
Aktuell lässt sich als Wissenschaftskommunikations-Community schwer beantworten: Wie viel investiert Deutschland wirklich in den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Gesellschaft? Und was bewirken diese Investitionen?
Diese begrenzte Datenlage hat Folgen. Kommunikationsbudgets lassen sich schwer legitimieren, wenn belastbare Vergleichswerte fehlen. Forschende planen ohne Orientierung. Und die gesellschaftliche Wirkung von Wissenschaftskommunikations-Investitionen bleibt schwer messbar – gerade dann, wenn wir sie am dringendsten brauchen.
Was funktioniert: Unsere Erfahrungen aus über 20 Jahren
Seit 2003 entwickeln wir bei NORDSONNE IDENTITY Kommunikationsstrategien für wissenschaftliche Institutionen. Dabei sehen wir immer wieder: Wer Wirkung ernst meint, landet in unserer Projekterfahrung typischerweise bei 5–10 % des Projektbudgets für Wissenschaftskommunikation. Diese Spanne ergibt sich aus konkreten Kostenkalkulationen in der Praxis. Vier Erkenntnisse aus unserer Arbeit:
Wirkung bestimmt den Bedarf
In Beratungsgesprächen fragen wir nie zuerst nach Prozenten. Wir fragen: Was soll sich verändern? Welche Zielgruppen müssen erreicht werden? Welches Verhalten, welche Einstellungen, welches Wissen?
Daraus ergeben sich die Aktivitäten. Eine professionelle Kommunikation für ein mittelgroßes Projekt umfasst typischerweise:
- Kommunikationskonzept und -strategie: 10.000-30.000 Euro
- Visuelle Leitidee und visuelle Kommunikation: 15.000-40.000 Euro
- Website-Entwicklung und -Wartung: 20.000-50.000 Euro
- Veranstaltungsformate und Dialogformate: 30.000-80.000 Euro
- Evaluation und Wirkungsmessung: 10.000-25.000 Euro
Bei einem Forschungsprojekt mit 2 Millionen Euro Gesamtbudget ergibt sich daraus 100.000–200.000 EUR für Kommunikation. Also 5–10 %. Diese Spanne ermöglicht professionelle Umsetzung.
Die Realität zeigt allerdings: Nicht jedes Projekt verfügt über solche Budgets. Bei kleineren Vorhaben wird strategisches Denken besonders wichtig. Welche Maßnahmen haben den größten Hebel? Wo lassen sich Ressourcen bündeln? Welche Formate können partizipativ entwickelt werden? Hier wird Kreativität in der Planung zum entscheidenden Faktor – und auch dafür entwickeln wir passende Lösungen.
Orientierung an Europa
Die europäische Förderlandschaft zeigt: Länder mit klaren Vorgaben bewegen sich in vergleichbaren Bereichen. Frankreich verankert zwar nur 1 % – dafür aber gesetzlich. Horizon Europe empfiehlt faktisch 15-25 % für alle drei Bereiche kombiniert (davon geschätzt 5-10 % für Kommunikation).
Für deutsche Förderung empfehlen wir: DFG-Sachbeihilfen und BMBF-Projekte 5-10 %, Horizon Europe 15-25 % (C/D&E kombiniert), große Verbünde und Cluster 5-10 %. Diese Bandbreiten schaffen Planbarkeit.
Zielgruppen kennen
Ein Manual für Forschende hat andere Anforderungen als illustrierte Poster für Landwirt:innen. Partizipative Formate mit Community-Gruppen brauchen andere Ressourcen als Policy Briefs für Ministerien. Die Spanne von 5-10 % ermöglicht die Kombination verschiedener Formate für unterschiedliche Zielgruppen.
Wirkung messen
Ohne Wirkungsmessung bleibt unklar, ob investierte Ressourcen tatsächlich zum gesellschaftlichen Transfer beitragen. Deshalb gehören Evaluationskonzepte in jedes Budget: nicht nur Output (Reichweite, Anzahl), sondern auch Outcome (tatsächliche Veränderungen bei Zielgruppen).
Ein Wort zur deutschen Förderphilosophie
Deutschland verfolgt bewusst einen flexiblen Ansatz. Die DFG formuliert: »Die DFG versteht die Förderung von Wissenschaftskommunikation grundsätzlich als Angebot.« Das BMBF macht bewusst keine festen prozentualen Vorgaben und betont, dass Mittel angemessen und verhältnismäßig zum Projektumfang sein sollen.
Diese Flexibilität hat Vorteile. Projekte können ihre Kommunikation spezifisch planen. Sie erschwert aber die Bildung von Vergleichswerten.
Drei häufige Fehler
Drei Fehler sehen wir häufig: Budgets unter 3 % des Projektvolumens, bei denen professionelle Umsetzung kaum möglich ist. Kommunikation als nachträgliche Ergänzung statt als integraler Planungsbestandteil. Vage Beschreibungen ohne konkrete Aktivitäten und Wirkungsindikatoren.
Wissenschaftskommunikation als strategische Investition in gesellschaftliche Wirkung
Orientierungswerte würden Antragstellenden Sicherheit geben. Gutachtenden objektive Maßstäbe bieten. Und die Legitimität angemessener Kommunikationsbudgets stärken. Bis dahin bleibt die Budgetplanung Erfahrungssache – die wir natürlich gerne teilen.
Idealerweise sollten Forschende bereits in der Antragsphase professionelle Beratung zur Wissenschaftskommunikation einbeziehen. Realistische Budgets von Anfang an einzuplanen ist deutlich wirksamer, als nachträglich mit zu knappen Mitteln kreativ werden zu müssen. Denn ohne ausreichende Ressourcen bleibt selbst die beste Kommunikationsstrategie Theorie.
Drei konkrete Schritte würden helfen:
- 1. Transparenz schaffen: Veröffentlichung aggregierter Daten zu Wissenschaftskommunikations-Budgets in bewilligten Projekten – differenziert nach Förderprogramm, Disziplin und Projektgröße.
- 2. Best Practice dokumentieren: Systematische Aufbereitung erfolgreicher Kommunikationskonzepte mit realistischen Budgetkalkulationen als Orientierung für Antragstellende.
- 3. Wirkung messen: Entwicklung einheitlicher Evaluationsstandards, die es ermöglichen, den gesellschaftlichen Impact von Wissenschaftskommunikations-Investitionen systematisch zu erfassen.
Erst wenn belastbare Daten zu Wissenschaftskommunikations-Budgets vorliegen, lassen sich fundierte Aussagen über deren Wirkung treffen. Erst wenn Wirkung messbar wird, lässt sich evidenzbasiert gegen Wissenschaftsskepsis vorgehen. Und erst wenn Orientierungswerte existieren, können Forschende realistische Budgets planen.
Die unsichtbare Zahl sichtbar zu machen, wäre der erste Schritt.
Ihr plant einen Förderantrag und seid unsicher, wie viel Budget für Wissenschaftskommunikation angemessen ist? Kontaktiert uns idealerweise 6–9 Monate vor Antragseinreichung. Wir entwickeln mit euch realistische Budgets basierend auf konkreten Wirkungszielen: nordsonne.de/kontakt
Wie plant ihr Wissenschaftskommunikations-Budgets in euren Projekten? Teilt eure Erfahrungen mit uns: ni@nordsonne.de
Quellen und weiterführende Links
Deutschland – DFG:
- DFG Wissenschaftskommunikation (Dossier)
- DFG Vordruck 52.07 – Modul Öffentlichkeitsarbeit
- GEPRIS-Datenbank
- DFG Exzellenzstrategie
Deutschland – BMBF:
- BMBF Wissenschaftskommunikation
- BMBF Leitfaden Begutachtung
- Beratungsunit Wissenschaftskommunikation beim DLR Projektträger
Interviews & Hintergrund:
Europa: