Wer zahlt wieviel für Wissenschafts-Kommunikation? Eine EU-Recherche
Forschende fragen sich regelmäßig: Wie viel Budget für Wissenschaftskommunikation ist angemessen? Eine systematische Recherche über 27 europäische Staaten zeigt: Fast nirgendwo gibt es verpflichtende Budgetprozentsätze. Stattdessen haben sich drei grundlegend unterschiedliche Fördermodelle etabliert – mit jeweils eigenen Vor- und Nachteilen.
Die wichtigsten Erkenntnisse auf einen Blick
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Drei Fördermodelle dominieren: Prozentsatz auf Agenturebene (Frankreich), eigene Förderprogramme (9 Länder), freiwillige Integration (17 Länder)
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Nur Frankreich schreibt einen konkreten Prozentsatz vor: 1% des ANR-Budget d’intervention für CSTI – alle anderen Länder setzen auf Freiwilligkeit
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Neun EU-Länder behandeln Wissenschaftskommunikation als eigenständige Profession mit dedizierten Förderprogrammen; die Schweiz gilt als Best-Practice außerhalb der EU
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Horizon Europe macht Communication, Dissemination & Exploitation (C/D&E) zur Pflicht und bewertet die Angemessenheit der Ressourcen – der einzige verpflichtende Standard auf EU-Ebene
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Deutschland verfolgt einen hybriden Ansatz: freiwillig für kleine Projekte, Begutachtungskriterium bei Exzellenzclustern, systematisch integriert im Bundesforschungsministerium
Drei Modelle im Überblick
Die europäische Förderlandschaft zeigt eine bemerkenswerte Diversität. Während manche Länder Wissenschaftskommunikation als integralen Bestandteil der Forschung verstehen, behandeln andere sie als eigenständige professionelle Tätigkeit.
Modell 1: Prozentsatz auf Agenturebene
Frankreich ist das einzige Land mit gesetzlicher Verpflichtung. Die Agence Nationale de la Recherche (ANR) muss 1 % ihres Budget d’intervention (rund 1,24 Mrd. EUR in 2024) der Kultur- und Wissenschaftskommunikation widmen (CSTI). Wichtig: Die 1-%-Regel gilt für die Förderorganisation, nicht für einzelne Projekte. Umsetzung erfolgt über SAPS-Ausschreibungen; 2021 wurden 15 Projekte mit insgesamt 1,161 Mio. EUR gefördert.
Die gesetzliche Verankerung garantiert kontinuierliche Investitionen unabhängig von politischen Konjunkturen und macht Wissenschaftskommunikation zu einer institutionellen Priorität.
Modell 2: Eigene Förderprogramme für Wissenschaftskommunikation
Neun EU-Länder verfügen über dedizierte Programme (Österreich, Niederlande, Luxemburg, Irland, Schweden, Ungarn, Slowenien, Rumänien, Deutschland). Die Schweiz (SNF Agora) wird als Nicht-EU-Best-Practice gesondert aufgeführt:
Schweiz (SNF Agora): Forschende müssen nachweisen, dass sie mit Expert:innen der Wissenschaftskommunikation zusammenarbeiten – Kommunikationsprofis sind als Mitantragstellende verpflichtend. Diese Anforderung unterstreicht: Wissenschaftskommunikation ist eine Profession, die spezialisierte Expertise erfordert. Budgets: 5.000–200.000 CHF pro Projekt.
Österreich (FWF Science Communication): Eigene Förderlinie unabhängig von Forschungsprojekten mit bis zu 100.000 EUR pro Projekt. Ermöglicht spezialisierte, hochwertige Kommunikationsformate ohne direkte Projektanbindung.
Niederlande (NWO WECOM): Dedizierte nationale Förderlinie seit 2018 mit mehreren Ausschreibungen pro Jahr. Konkrete Entwicklung: 2024 wurden 12 Projekte gefördert, 2025 bereits 16 Projekte. Kernforderungen: Innovation im Ansatz, Zusammenarbeit mit Zielgruppen, expliziter Fokus auf schwer erreichbare Gruppen mit niedrigem sozioökonomischen Status.
Weitere Programme: Luxemburg (FNR PSP), Irland (SFI Discover), Schweden (Formas Communication Grants), Ungarn (Science Patronage), Slowenien (ARRS Promotion of Science), Rumänien (UEFISCDI Știință și Societate), Deutschland (BMBF-Wissenschaftsjahr)
Diese Programme ermöglichen die Einbindung von Kommunikationsprofis und schaffen Raum für methodisch anspruchsvolle Formate. Gleichzeitig bedeuten sie mehr Beteiligte im Team, längere Planungszeiten, höhere Budgetanforderungen – was kleinere Projekte ausschließen kann.
Modell 3: Freiwillig möglich
Die Mehrheit erlaubt Wissenschaftskommunikation im Projektbudget ohne Verpflichtung: Belgien, Spanien, Portugal, Italien, Griechenland, Malta, Zypern, Dänemark, Finnland, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Bulgarien, Kroatien.
Dieser Ansatz bietet maximale Flexibilität mit geringeren formalen Vorgaben. Forschende entscheiden eigenständig über Umfang und Art der Kommunikationsmaßnahmen. Gleichzeitig fehlen Orientierungswerte und Vergleichsmöglichkeiten, was die Gefahr der Unterbudgetierung birgt und eine systematische Erfassung erschwert.
Sonderfälle: Deutschland und Großbritannien
Zwei Länder verfolgen Ansätze, die sich nicht eindeutig in die drei Hauptmodelle einordnen lassen.
Deutschland kombiniert Elemente verschiedener Modelle zu einem hybriden Ansatz. Bei der DFG kann Wissenschaftskommunikation in kleinen Projekten (Sachbeihilfen) freiwillig über das Modul Öffentlichkeitsarbeit (DFG-Vordruck 52.07) beantragt werden. Bei großen Verbundprojekten (Sonderforschungsbereiche) können größere Maßnahmen als eigenes Teilprojekt beantragt werden. Bei Exzellenzclustern ist Wissenschaftskommunikation und Transfer ein explizites Begutachtungskriterium; es werden keine Prozentsätze vorgegeben. Ab 2026 werden 70 Cluster mit insgesamt 539 Millionen EUR jährlich gefördert.
Das BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung (heute: BMFTR Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt) hat seinerzeit 2022 einen grundlegenden Politikwechsel vollzogen: Wissenschaftskommunikation wird systematisch in alle Förderrichtlinien integriert. In den meisten Bekanntmachungen wird eine kurze Darstellung bzw. ein Konzept zur Wissenschaftskommunikation im Antrag verlangt; Format und Umfang variieren je Richtlinie. Feste Prozentvorgaben macht das BMBF bewusst nicht.
Die beantragten Mittel sollen »angemessen und verhältnismäßig« zum Gesamtprojektbudget stehen, müssen aber aus dem Gesamtprojektbudget finanziert werden. Ergänzend stehen dedizierte Programme zur Verfügung, darunter das jährliche Wissenschaftsjahr; die Förderhöhe variiert je Ausschreibung.
Die Philosophie dahinter: Je größer das Projekt und je höher die öffentlichen Mittel, desto stärker die Erwartung an Wissenschaftskommunikation – aber ohne feste Prozentvorgabe. Dies bietet Flexibilität und projektspezifische Lösungen, erschwert aber die Bildung von Vergleichswerten.
Großbritannien hat seit 1. März 2020 die »Pathways to Impact« entfallen lassen; Impact-Aktivitäten werden im »Case for Support« integriert. Kosten sind zulässig, wenn sie vollständig gerechtfertigt sind; es gibt keine offiziellen Prozentsätze. Der Economic and Social Research Council (ESRC) betont: »Effektiver Wissensaustausch mit nicht-akademischen Communities braucht Zeit, Fähigkeiten, Selbstvertrauen und Geld.« Die Philosophie: Impact ist integraler Bestandteil des Forschungsdesigns, nicht nachträglicher Gedanke. Der Vorteil liegt in der Flexibilität und der Ermutigung, Impact von Projektbeginn an mitzudenken.
Horizon Europe: Der EU-Standard
Während nationale Fördersysteme auf Flexibilität setzen, macht Horizon Europe auf EU-Ebene Communication, Dissemination and Exploitation (C/D&E) zur Pflicht. Das Rahmenprogramm mit rund 95,5 Milliarden Euro unterscheidet drei Bereiche mit unterschiedlichen Funktionen: Communication für die breite Öffentlichkeit, Dissemination für die Fachcommunity und Exploitation für wirtschaftliche Verwertung.
C/D&E ist verpflichtend; bewertet werden unter anderem die Qualität der Maßnahmen (Impact) und die Angemessenheit der Ressourcen (Implementation). Offizielle Prozentvorgaben gibt es nicht. Der Kontrast ist bemerkenswert: Während Horizon Europe explizite Budgetierung verlangt und bewertet, überlassen nationale Systeme die Entscheidung weitgehend den Forschenden.
Was bedeutet das für die Praxis?
Unsere Recherche zeigt, dass es keinen europäischen Konsens über die »richtige« Höhe von Wissenschaftskommunikations-Budgets gibt. Jedes Land hat basierend auf seiner Wissenschaftskultur, politischen Prioritäten und administrativen Strukturen eigene Lösungen entwickelt.
Drei Erkenntnisse stechen heraus: Verpflichtung funktioniert auf verschiedenen Ebenen. Frankreich verpflichtet die Förderorganisation, Horizon Europe verpflichtet die Projekte, Deutschland macht Wissenschaftskommunikation zum Begutachtungskriterium bei Elite-Clustern. Jeder Ansatz hat seine Berechtigung. Separate Programme ermöglichen Professionalität. Länder mit eigenen Förderprogrammen wie die Schweiz, die Niederlande oder Österreich schaffen Raum für spezialisierte, hochwertige Wissenschaftskommunikation. Die Einbindung von Kommunikationsprofis hebt die Qualität. Flexibilität hat ihren Preis. Maximale Flexibilität bedeutet auch: keine Orientierung, keine Vergleichbarkeit, keine systematische Erfassung. Forschende planen im Dunkeln.
Ausblick: Lernen von Europa
Die europäische Vielfalt zeigt Möglichkeiten auf, wie Wissenschaftskommunikation systematisch gefördert werden kann. Deutschland könnte von verschiedenen Modellen lernen: Von Frankreich die systemische Absicherung durch gesetzliche Verankerung auf Agenturebene, von der Schweiz die formale Einbindung von Kommunikationsexpert:innen, von den Niederlanden dedizierte nationale Programme mit Fokus auf schwer erreichbare Zielgruppen und von Horizon Europe klare Anforderungen mit Bewertungsrelevanz.
Die Frage ist nicht, ob es ein »richtiges« Modell gibt, sondern welche Kombination für das deutsche Wissenschaftssystem am besten funktioniert.
Quellen
Frankreich
- ANR: Promotion de la culture scientifique, technique et industrielle (CSTI)
- ANR Budget 2024
- ANR SAPS-Programm 2021
Schweiz
Österreich
Niederlande
Weitere Länder
- Luxemburg: FNR PSP-Programme
- Irland: SFI Discover Programme
- Schweden: Formas Communication Grants
- Ungarn: Science Patronage Programme
- Slowenien: ARRS Promotion of Science
- Rumänien: UEFISCDI Știință și Societate
Deutschland
- DFG Modul Öffentlichkeitsarbeit (Vordruck 52.07)
- DFG Exzellenzstrategie: Begutachtungskriterien
- Exzellenzstrategie 2026-2032: 70 Cluster, 539 Mio. EUR/Jahr
- BMBF Wissenschaftskommunikation in der Förderpraxis
Großbritannien
- Horizon Europe: Programmvolumen (~95,5 Mrd. EUR)
- Horizon Europe: C/D&E Bewertungskriterien